Interview • 26.04.2023
"Wir arbeiten mit digitalen Drillingen"
DAKOSY-Vorstände im Interview
Digitale Zwillinge sind „in“, die Blockchain in der Logistik ist „out“. Doch welche Digitalisierungstrends sind für die Logistikbranche in Bezug auf Resilienz, Zeit- und Qualitätsvorsprünge wirklich zielführend? Im Interview mit dem DAKOSY-Magazin sprechen die Vorstände Dieter Spark und Ulrich Wrage über die Tops digitale Zwillinge, Plattformökonomie und Nachhaltigkeit.
Interview mit den DAKOSY-Vorständen
für das aktuelle Magazin
(von links: Dieter Spark, Ulrich Wrage)
Welches sind für Sie die wichtigsten Digitalisierungstrends in der Logistik?
Dieter Spark: Für mich ist der wichtigste erkennbare Trend der digitale Zwilling. Das Thema nimmt deutlich Fahrt auf, das zeigen die immer breiteren und intensiveren Nutzungsmöglichkeiten. Der Begriff digitaler Zwilling bezog sich anfänglich darauf, lediglich den Zustand von Objekten zu visualisieren. Mittlerweile wird er weiter gefasst. Im Hinblick auf einen Warentransport oder ein Logistikprojekt bildet der digitale Zwilling die gesamte Prozesskette ab. Dieser Trend ist eng verbunden mit Plattformökonomie und Kollaboration. Denn in der Regel braucht es in der Logistik für die Abbildung von digitalen Zwillingen die Daten aller an der Transportkette Beteiligten, die auf einer neutralen Plattform zusammenlaufen.
Ulrich Wrage: Klassische digitale Zwillinge, also aus Sensoren gewonnene Daten, helfen bei der Supply-Chain-Transparenz nur bedingt. Beispielsweise gibt ein am Container angebrachter Chip nur Auskunft darüber, wo sich die Fracht befindet. Das reicht nicht. Deshalb arbeiten wir mit „digitalen Drillingen“. In diese fließen über das „wo“ hinaus Statusinformationen sowie Planungsdaten in Bezug auf den Transport der involvierten Akteure ein. Erst diese Mixtur bietet einen echten Mehrwert.

„Für mich ist der wichtigste erkennbare Trend der digitale Zwilling. Das Thema nimmt deutlich Fahrt auf, das zeigen die immer breiteren und intensiveren Nutzungsmöglichkeiten.“
Wo nutzt DAKOSY digitale Zwillinge beziehungsweise „Drillinge“?
Spark: Wir bilden die Prozessketten für See- und Luftfracht digital ab – sogar planerisch, bevor sie physisch stattfinden. In unseren Plattformen, dem Port Community System im Hamburger Hafen und der Cargo Community Plattform FAIR@Link am Flughafen Frankfurt, laufen sowohl Ist- als auch Soll-Daten zusammen. Daraus können Rückschlüsse, auch in Bezug auf die Resilienz, gezogen werden. Mithilfe unserer Plattformen und unter Einbezug von künstlicher Intelligenz wissen unsere Kunden teilweise Tage im Voraus, wenn sich geplante Lieferungen aufgrund von Schiffsverspätungen oder Zollabwicklungen verzögern. So erhalten die Akteure aus Logistik, Industrie oder Handel ein maximales Zeitfenster, um sich auf diese Situation logistisch vorzubereiten.
Inwieweit werden auch Daten einbezogen, die aus Internet of Things (IOT)-Quellen gewonnen werden?
Wrage: Das IOT als Datenquelle für den digitalen Zwilling nutzen wir im Hafen Hamburg und am Flughafen Frankfurt unter anderem bei der Slotbuchung. So erfasst beispielsweise vor der Einfahrt in die Cargo City Süd am Flughafen Frankfurt eine Kamera der Fraport das Lkw-Kennzeichen. Nach einem Abgleich mit dem System öffnet sich die Schranke nur, wenn eine korrespondierende Slotbuchung vorliegt. Ein anderes Beispiel wären die AIS-Antennen an der Elbe, welche die aktuellen Positionen der Containerschiffe melden. Diese Sensordaten fließen in unsere Plattform und werden dort zu Statusinformationen.

Wie lässt sich die Supply Chain Visibility im Hamburger Hafen weiter verbessern?
Spark: Wir sollten in der Kollaboration nicht nur auf Ist-Daten sondern stärker auf Planungsdaten setzen. Sie sind ein wichtiger Schlüssel zur Beschleunigung der Prozesse. Ein konkretes Beispiel ist das Terminalhandling von Importcontainern. Eine Schiffsentladung von 4.000 bis 5.000 Containern braucht etwa zwei bis drei Tage. Aktuell können Spediteure und Fuhrunternehmer die sich daran anschließenden Lkw-Nachläufe frühestens für den letzten Entladetag disponieren, da im Vorfeld nicht transparent ist, wann der gewünschte Container bereitsteht. Die Hälfte bis zwei Drittel der Boxen könnten aber theoretisch ein bis zwei Tage früher beim Empfänger sein, wenn auch die geplanten Löschdaten innerhalb unserer Plattform nutzbar wären. Damit ließen sich u.a. auch Peaks an den Terminals und die Staubildung im Hafen reduzieren.
Viele Unternehmen beschäftigen sich aktuell mit dem Thema Plattformökonomie. Warum gerade jetzt?
Spark: Ich glaube, es herrscht ein breiter Konsens darüber, dass sich über digitale Plattformen Informationsströme und Datenaustausch mit den an der Transportkette Beteiligten optimieren lassen. Durch die sinkenden Ladungsmengen, ausgelöst durch den Konsumeinbruch, haben die Unternehmen jetzt die Ressourcen, sich mit der prozessualen digitalen Optimierung zu beschäftigen. Die letzten zwei Jahre waren entscheidend für den Trend. Die Bewegung, die jetzt zu mehr Plattformökonomie führt, wurde während dieser Zeit ausgelöst. Nur waren da alle Kapazitäten in der Operativen gebunden. Jetzt tritt eine Art digitaler Nachholeffekt ein.
Ende 2022 kündigten Maersk und IBM das Ende des Supply-Chain-Services TradeLens an. Warum war die Lösung nicht erfolgreich, obwohl sie knapp die Hälfte des weltweiten Containerverkehrs abbildete?
Wrage: Gerade die konzentrierte Marktmacht auf der Reederseite war ein Problem. An die von Maersk und IBM initiierte Plattform schlossen sich weitere führende Carrier an. Parallel dazu nahm der Wettbewerb zwischen Speditionen und Reedereien bei den Vor- und Nachläufen zu, welche letztere zunehmend in Eigenregie übernehmen wollen. Insbesondere Maersk baut das Logistikgeschäft offensiv aus und gehört mittlerweile zu den weltweit größten Konzernen in dieser Sparte. In einer solchen Konkurrenzsituation waren die Speditionen nicht bereit, dem Supply-Chain-Service TradeLens ihre Daten zur Verfügung zu stellen. Unterm Strich ist die Hauptursache für das Scheitern die mangelnde Plattformneutralität.
Inwieweit lag das Scheitern auch an der eingesetzten Blockchain-Technologie und eignet sich die Technologie überhaupt für die Logistik?
Spark: TradeLens ist nicht an der Blockchain gescheitert, sondern an den bereits genannten Gründen. Generell ist fraglich, wann und ob sich die Blockchain für die Logistikbranche durchsetzen wird. Eine Hauptstärke dieser Technologie ist die absolute Transparenz über die gesamte Kette, was sie für Finanzgeschäfte besonders interessant macht. Innerhalb der Lieferkette ist es jedoch wichtig, dass nur Berechtigte Zugriff auf bestimmte Daten haben und aufgrund der Wettbewerbssituation nicht alle Informationen frei verfügbar sind. Dies widerspricht dem Prinzip der Blockchain. Hinzu kommt, dass Fragen der Interoperabilität wie beispielsweise die Standardisierung nicht gelöst sind. Auch ist die Softwareentwicklung weit aufwendiger als bei normalen Plattformen.
Wie bewerten Sie Open-Source-Lösungen als Alternativen für die Datenkonsolidierung zwischen verschiedenen Akteuren der Transportkette?
Wrage: Querschnittsfunktionalitäten, wie der digitale Frachtbrief, müssen nicht von jedem Anbieter neu programmiert werden. Hierfür könnten Open-Source-Lösungen absolut eine Alternative werden. Als Softwaredienstleister sind wir in der Lage, Open-Source-Quellen technisch einzubinden. Allerdings sind Fragen wie Support und Haftung vorab zu klären. Denn wir stehen gegenüber unseren Kunden in der Pflicht, dass die Lösungen funktionieren.
Welche Rolle können Ihre Plattformen für den Austausch von Nachhaltigkeitsdaten spielen?
Spark: So wie wir heute im Bereich der Sendungsverfolgung wissen, wo sich die Lieferung befindet, wird es in ein paar Jahren selbstverständlich sein, dass wir auch den dazugehörigen Emissionsausstoß kennen. Jeder am Transport Beteiligte wird künftig nachweisen müssen, wie viele Emissionen auf seinem Teilstück verbraucht wurden. Wir können diese Daten für die gesamte Lieferkette zusammenbringen. Das ist das nächste Kollaborationsprojekt, das wir angehen. Denn wir bilden über unsere Plattformen bereits die Ist- und Plandaten für die Supply Chains von Luft- und Seefracht ab. Da ist es nur eine logische Folge, über diese Plattformen auch Nachhaltigkeitsdaten auszutauschen.

„Querschnittsfunktionalitäten, wie der digitale Frachtbrief, müssen nicht von jedem Anbieter neu programmiert werden. Hierfür könnten Open-Source-Lösungen absolut eine Alternative werden.“